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Medizinische Versorgungszentren

Siebers Team

Bei Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) handelt es sich um Großpraxen, die mehr als 10 Behandler beschäftigen dürfen. Bevor das Versorgungsstärkungsgesetz 2015 verabschiedet wurde, durfte sich ein MVZ nur aus mehr als 10 Behandlern unterschiedlicher Fachrichtungen zusammensetzen. Seit 2015 dürfen nun auch fachgleiche MVZ gegründet werden, so dass immer mehr zahnärztliche medizinische Versorgungszentren entstehen. Zudem erlaubt das Versorgungsstärkungsgesetz, dass ein solches Versorgungszentrum von fachfremden Investoren gegründet werden darf. Dies wird von der Zahnärzteschaft sehr kritisch beurteilt, da immer mehr Negativfälle aus dem In- und Ausland bekannt werden. Nach Meinung der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung und der Bundeszahnärztekammer sollte die Öffnung des Marktes der zahnärztlichen Versorgung für Fremdinvestoren schnellstmöglich wieder geschlossen werden. Der ursprüngliche Sinn des Versorgungsstärkungsgesetzes, die medizinische Versorgung in ländlichen Regionen zu sichern und Anreize für Ärzte zu bieten, in strukturschwache Gebiete zu gehen, konnte bisher noch nicht erreicht werden. Fast alle neu errichteten MVZ sind – entgegen der Intention des Gesetzgebers – in struktur- und einkommensstarken Regionen, vor allem in Großstädten entstanden.
Das Hauptproblem dieser gesetzlichen Neuregelung ist die Kommerzialisierung der Zahnmedizin, die letztendlich auf dem Rücken der Patienten ausgetragen wird. Angestellte Zahnärzte und betroffene Mitarbeiter berichten, dass von der Praxisführung in besagten MVZ die Rentabilität als oberstes Ziel vorgegeben wird. Das Problem liegt vor allem in der Möglichkeit der Gründung der MVZ durch Fremdinvestoren und nicht in der Möglichkeit der Gründung von versorgungsgleichen MVZ an sich. In erster Linie sollte die Qualität der zahnmedizinischen Versorgung im Vordergrund stehen. Diese kann sowohl in einer Einzelpraxis als auch in einem zahnmedizinischen MVZ gut oder schlecht sein. Dabei ist die Organisationsstruktur an sich eher nebensächlich. Entscheidender ist, dass Fremdinvestoren als fachfremde Geldgeber nicht im gleichen Maße wie zahnärztliche Gründer – als persönlich verantwortliche und auch haftende Personen – Kontrolle über die Qualität haben können. Ein MVZ hat im Vergleich zu Einzelpraxen den Vorteil, die Buchhaltung, kaufmännische Tätigkeiten, Personalverantwortung, immer höhere Ansprüche im Qualitätsmanagement, Anschaffungskosten für Material und Geräte etc. zu teilen und so kosten- und zeitsparend zu arbeiten. Es liegen auch einige wenige Beispiele von gut funktionierenden MVZ vor, die trotz ihrer Größe eine leitliniengerechte Qualität einhalten können. In den Medien werden bekanntermaßen in erster Linie natürlich die Negativbeispiele veröffentlicht und nicht die MVZ erwähnt, die ein erfolgreiches und qualitativ angemessenes Konzept haben.
Aus anderen europäischen Ländern liegen allerdings besorgniserregende Berichte über fremdkapitalgesteuerte Dentalketten vor, deren Zersetzungsprozess schon weiter vorangeschritten ist. Das blitzartige aus dem Boden schießen von Großpraxen endete in vielen europäischen Ländern bereits in der Katastrophe.
In Frankreich wurde kürzlich der Fall der bankrotten Dentalkette Dentexia öffentlich gemacht. Über 1500 Patientenbeschwerden (3000 Betroffene) wurden aufgrund von fehlender, falscher, schlechter oder abgebrochener Behandlung bekannt. Ende letzten Jahres wurden 3 der Gründer in Untersuchungshaft genommen wegen „schwerer Täuschung, „betrügerischer Geschäftspraktiken“, „organisierte Geldwäsche“ „Vertrauensbruch“, „Missbrauch von Unternehmenseigentum“, „Steuerhinterziehung“ und „organisierter Bandenbetrug“. 22 Millionen Euro Schulden, 4 von 5 Millionen bereits bezahlten Behandlungen wurden nie durchgeführt und zahlreiche Gehälter nicht gezahlt. Das eigentliche Ziel des Gründers war es „Die Zahngesundheit für alle zugänglich zu machen – mit Angeboten, die zwei- bis dreimal niedriger als der Marktpreis sind“. Eingestellt wurden vor allem unerfahrene Assistenzärzte und Verkaufsassistenten. Rentabilität stand an oberster Stelle, ein bestimmter monatlicher Umsatz wurde vorgeschrieben. Mit aggressiver Werbung wurde das Billigangebot umworben. Patienten, die eine minimalinvasivere oder günstigere Behandlung als Implantate wünschten, wurden weggeschickt. Bezahlt wurde die Behandlung im Voraus. Fehlkalkulationen sorgten für ein Lieferstopp von Materialien, so dass Behandlungen teilweise nicht mehr durchgeführt werden konnten. Dennoch wurden weiter Patienten akquiriert. Sogar ein fachfremder Laie (Nichtzahnarzt) sollte auf Anweisung implantieren. Berufsvorschriften und Leitlinien wurden ignoriert. 9 von 10 Patienten verblieben mit unvollendeten Therapien oder den Folgen von Behandlungsfehlern zurück. Leider ist dies kein Einzelfall.
Zahnärztliche Praxen sollten für eine gute Qualität der Versorgung ihrer Patienten, für Therapiefreiheit der Behandler, zeitgemäße Zahnmedizin und angemessene Arbeitsbedingungen für Zahnärzte und Helferinnen stehen. Viele dieser Punkte können in Großpraxen, die teilweise ihre Versorgungen zu Dumpingpreisen anbieten, nicht eingehalten werden. Zudem werden Einzelpraxen durch die neue Möglichkeit der fachgleichen medizinischen Versorgungszentren langfristig nicht neben den großen Konkurrenten standhalten können, da diese durch die zahlreichen Behandler breitere Öffnungszeiten und auch kosteneffizientere Anschaffungen abdecken können.
Hinzu kommt, dass die zunehmende Bürokratie auch aufgrund der neuen – extrem bürokratischen und praxisfremden – Regulatorien für Einzelpraxen und kleinere Gemeinschaftspraxen nicht mehr ohne weiteres zu bewältigen sein wird. Durch dieses System geht langfristig das Prinzip der zahnärztlichen Freiberuflichkeit verloren.
Es obliegt der Politik zu handeln und die derzeitigen überwiegend negativen Entwicklungen zu stoppen. Ob die ursprüngliche Idee des Versorgungsstärkungsgesetzes der flächendeckenden Versorgung noch ausreichend umgesetzt werden kann, wird sich in der Zukunft zeigen. Sie bleibt aber höchst zweifelhaft.

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